Von Sandra Sensmeyer.

Seit 2015 restaurieren die Mitglieder der Bürgerinitiative Krone Schweina e. V.[1] das denkmalgeschützte Gasthaus Krone in der Mitte des thüringischen Ortes Schweina (Abb. 1). Dafür wurde der Verein mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet: unter anderem mit dem Thüringer Denkmalschutzpreis 2023 und in diesem Jahr mit dem Deutschen Preis für Denkmalschutz, der höchsten Auszeichnung auf diesem Gebiet in Deutschland. Was hat die Krone, was andere Denkmale nicht haben? Und was hat Denkmalschutz mit Vergleichspraktiken zu tun?
Die Krone wurde urkundlich erstmals im Jahr 1492 erwähnt. Ein geschichtsträchtiges Jahr: Christoph Kolumbus suchte einen Seeweg nach Indien, fand stattdessen aber einen bis dahin in Europa unbekannten Kontinent; Antonio de Nebrija veröffentlichte eine spanische Grammatik und damit das erste Sprachlehrbuch einer Volkssprache. Das Jahr 1492 wird wegen zahlreicher Umbrüche auch als Ende des Mittelalters und Beginn der Neuzeit gewertet. Wie können historische Ereignisse verglichen werden? Taugt historische Bedeutung als Vergleichskriterium? Ein Hauch der großen Geschichte könnte auch die Krone gestreift haben: Eine Legende besagt, dass der junge Martin Luther dort am 4. Mai 1521 sein Bier trank. Auf dem Rückweg vom Reichstag in Worms nach Wittenberg soll er zuvor seine Verwandten im nahegelegenen Ort Möhra besucht haben. Unweit von Schweina wurde Luther zum Schein festgenommen und auf die Wartburg gebracht.[2] Dort übersetzte er im folgenden Winter das Neue Testament ins Deutsche.
Die Krone war seit dem 15. Jahrhundert ein zentraler Treffpunkt im Ort und blieb es bis zum Ende der DDR-Zeit. Um 1920 wurde an den Fachwerkbau ein großer Saal angefügt – genutzt als ein Raum für unzählige Feiern, Karnevalsfeste und öffentliche Veranstaltungen. Nach der deutschen Wiedervereinigung wurde die Gaststätte privatisiert; nach dem Auszug der letzten Eigentümerin stand das Haus leer und verfiel zusehends.
Ein Gebäude als gesellschaftlicher Standpunkt
Das Dorf Schweina,[3] bis 1990 geprägt durch mehrere große Industriebetriebe und einen lebendigen Ortskern mit zahlreichen Geschäften und Gaststätten, erlebte nach der deutschen Wiedervereinigung einen dramatischen Verlust an alter Bausubstanz: Die meisten Betriebe wurden geschlossen, nach und nach abgerissen oder verfallen bis heute. Eine markante Gaststätte und das repräsentative Gebäude der Post mussten einem Möbelhaus weichen. Eine Bank errichtete genau gegenüber der Krone anstelle eines alten Bürgerhauses einen nüchternen Zweckbau und pflasterte den ehemaligen Garten als Parkfläche. Das Möbelhaus wurde als erstes geschlossen, dann schloss die Bank; beide Gebäude stehen seit langem leer. Der zerfallenden Krone drohte ein Schicksal als Parkplatz.

Im öffentlichen Raum manifestierte sich somit sichtbar der fortlaufende Wandel der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen. Nach der DDR-Zeit sorgte zunächst die vielfach kritisierte Politik der Treuhand für deutliche Einschnitte.[4] Es folgten Landflucht, zunehmender Leerstand und Verfall; Probleme, mit denen viele ländliche Gebiete zu kämpfen hatten und noch haben.[5] Die Hoffnung, finanzkräftige Unternehmen würden historische Gebäude sanieren und mit einer neuen Nutzung beleben, erfüllte sich in Schweinas Nachbarstadt Bad Liebenstein in mehreren Fällen nicht.[6]
Dem Niedergang der denkmalgeschützten Krone wollten im Jahr 2011 lokale Akteure aus den Bereichen Kultur, Umweltschutz und Kirche nicht länger tatenlos zusehen. Sie brachten am Gebäude Banner an mit der Aufforderung, die „Krone“ wach zu küssen (Abb. 2), und posierten im Dezember desselben Jahres im ehemaligen Gastraum für das Gründungsfoto der Bürgerinitiative. Nach einem langjährigen juristischen und politischen Hin und Her konnte die Krone schließlich von drei Mitgliedern der Bürgerinitiative gekauft werden.
Restaurieren ist ständiges Vergleichen
Die Bürgerinitiative hat sich vorgenommen, die Krone denkmalgerecht und nachhaltig zu sanieren. Denkmalgerechte Sanierung bedeutet nicht, ein altes Gebäude mit beliebigen Materialien und Techniken zu „reparieren“ – daraus könnte eine Art Fälschung resultieren. Deshalb müssen unter anderem folgende Vorgaben eingehalten werden:
- Erhalten wird der letzte Zustand eines Gebäudes, wobei unsachgemäße Einbauten beseitigt werden dürfen. Es erfolgt kein Rückbau auf einen imaginierten ursprünglichen Zustand; auch solche historischen Stilelemente werden belassen, die nicht dem aktuellen Zeitgeschmack entsprechen.
- Beim Ersatz verloren gegangener Bauelemente müssen die neu eingebrachten Materialien kenntlich bleiben.
- Eine neue Nutzung soll dem historischen und künstlerischen Charakter des Denkmals angemessen sein.
Diese und weitere Leitlinien wurden auf europäischer Ebene erstmals 1931 in der Charta von Athen formuliert und fanden Eingang in nationale Gesetzgebungen und Regelungen zum Denkmalschutz.[7]
Die Restaurierung begann mit einer Bestandsaufnahme: Das Gebäude versammelte aufgrund seiner Baugeschichte unzählige Zeitschichten, die entsprechend ihrer Bedeutung berücksichtigt werden mussten.[8] Welche sollten erhalten bleiben, welche verschwinden und wo mussten neue hinzugefügt werden? Die Vergleichskriterien, von denen die Entscheidungen geleitet wurden, könnten Authentizität, baulicher Zustand, aber auch schlicht Machbarkeit lauten. Bei nicht fachgerechten Renovierungen waren tragende Wände und Pfeiler entfernt worden, sodass der Gastraum zunächst in einen Wald aus Metallstützen verwandelt werden musste. Unter einem PVC-Belag tauchte in der Diele ein Terrazzoboden mit Mosaik-Ornamenten nahezu unbeschadet wieder auf, unter Lackschichten fand sich an Türen und Rahmen ein großflächiger himmelblauer Anstrich. Während das mehr als 500 Jahre alte Fachwerkhaus vergleichsweise gut erhalten war, war der Saalanbau nicht zu retten. Hausschwamm hatte Dach und Zwischendecken zum Einsinken gebracht (Abb. 3).

Im Jahr 2016 wurde das Saalgebäude komplett abgerissen, noch brauchbare Materialien – Mauersteine, Dachpfannen, Holzbalken – sortiert, grob gereinigt und eingelagert. Übrig blieb das Fachwerkhaus – mit einer offenen Fassade an der Rückseite (Abb. 4). Diese wurde nach und nach geschlossen – mit neuen Fenstern, alten und neuen Balken, gebrauchten Mauersteinen, viel Lehm sowie einer Flügeltür aus einer abgerissenen Fabrik (Abb. 5).


Wie in den Leitlinien für denkmalgerechte Sanierungen gefordert, lassen sich an der restaurierten Rückseite verschiedene konservierte Zeitschichten und neu eingebrachte Bauelemente eindeutig identifizieren. Im Obergeschoss blieben die Rundbogen, die Anfang des 20. Jahrhunderts als Durchgänge zum Saal gesetzt worden waren, erhalten und wurden – statt mit historisierendem Fachwerk – mit bodentiefen Fenstern gefüllt. Weitere hinzugefügte Bauteile lassen sich über Vergleichspraktiken erkennen: Bei den Holzbalken beispielsweise lautet das Vergleichskriterium Bearbeitungsform: Neue, maschinell bearbeitete Balken wurden farblich zwar an die erhalten gebliebenen angepasst, unterscheiden sich aber von den ursprünglichen, die in Handarbeit geschnitten wurden, durch gerade Kanten und ebene Oberflächen. Beim Terrazzoboden im Hausflur werden ergänzte Stellen im Vergleich zum historischen Belag dagegen über das Kriterium Farbigkeit erkennbar (Abb. 6, Abb. 7).


Die Wiederverwendung der Fabriktür erfolgte unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit. Der Übergang zum Fachwerk wurde mit Glasscheiben ausgefüllt, um die frühere Öffnung an der Gebäuderückseite zu markieren – und damit eine Rezeption der Flügeltür als original zu vermeiden.
Während die Fassade der Krone inzwischen restauriert ist, liegt beim Innenausbau noch viel Arbeit vor der Bürgerinitiative. In Zukunft sollen die ehemaligen Gasträume im Erdgeschoss als Treffpunkt für Gruppen und Vereine dienen, die früheren Wohnräume und Fremdenzimmer im Obergeschoss könnten eine Wanderherberge werden – eine Nutzung, die (wie in den Leitlinien zum Denkmalschutz vorgegeben) nicht so weit von dem ursprünglichen Zweck des Gebäudes entfernt ist.
Politische Inbesitznahmen
Die Motivation, ein altes Gebäude zu restaurieren, kann sich aus den unterschiedlichsten Beweggründen speisen, wie beispielsweise Erinnerungskultur, Idealismus, Repräsentationsdrang oder persönliche Sinnstiftung. Bei der Bürgerinitiative Krone Schweina e. V. spielte der Wunsch, das eigene Lebensumfeld mitzugestalten, eine große Rolle. Diese Form von bürgerlichem Engagement im ländlichen Raum wird von der EU gefördert: Über das Programm LEADER werden „Projekte zur Erhaltung der Lebensqualität“ und für die „Zukunftsfähigkeit der Dörfer“ unterstützt.[9]
Denkmälern wird nicht nur ein wissenschaftlicher Wert zugeschrieben, sondern auch ein positiver Effekt auf die Lebensqualität und die Funktion eines Identifikationsmerkmals für die Bevölkerung, die in der Umgebung des Denkmals lebt.[10] Um die Restaurierung zu finanzieren, spezialisierte sich ein Mitglied der Initiative auf die Beantragung von Fördermitteln, andere auf Lehmbau: Viele Arbeiten wurden und werden ehrenamtlich während gemeinschaftlicher Arbeitseinsätze ausgeführt. Gelegentlich halfen Soldaten der Werratal-Kaserne Bad Salzungen beim Abfahren von Schutt, gelernte Handwerker*innen und Künstler*innen steuern ihr Fachwissen bei und Frauen aus dem Ort unterstützen Veranstaltungen regelmäßig mit Spenden für das Kuchenbuffet.
Jeden Samstagvormittag arbeiten die Ehrenamtlichen an der Krone und frühstücken auf dem Platz vor dem Eingang. Das Engagement blieb nicht lange unbemerkt. Die Aktivitäten der Bürgerinitiative wurden bereits von verschiedenen Institutionen mit Preisen gewürdigt.[11] „Das ist Thüringen!“, rief der scheidende Kulturminister des Freistaates in seiner Laudatio zur Verleihung des Deutschen Preises für Denkmalschutz aus. Derweil überlegen die so Gelobten, was sie mit dem Preis – einer schweren Halbkugel aus einer Silber-Platin-Legierung[12] in Suppentassengröße – anstellen können. Im Vergleich zu den Bronzetafeln, die die Initiative bisher erhalten hat, lässt die sich nicht einfach an der Fassade festschrauben.
Infos und Links:
Schweina liegt rund 20 km von Eisenach entfernt und ist ein Ortsteil des Kurortes Bad Liebenstein; Stadtverwaltung Bad Liebenstein (Hg.), Ortsteile. Schweina, 2020, https://rathaus.bad-liebenstein.de/ortsteile/schweina/ [Abruf 11.12.2024].
Bad Liebenstein GmbH Gesellschaft für Kommunaldienstleistungen und Strukturentwicklung (Hg,), Bad Liebenstein und seine Ortsteile, https://www.bad-liebenstein.de/ortsportrait [Abruf 11.12.2024].
Bürgerinitiative Krone Schweina e.V. (Hg.), Die „Krone“ wachküssen! Internetpräsenz der Bürgerinitiative Krone Schweina e. V., https://www.schweinaerkrone.de/ [Abruf 09.12.2024].
[1] In diesem Blogbeitrag werden die Aktivitäten der Bürgerinitiative Krone Schweina e. V. und die Geschichte des Gasthauses Krone aus einer beobachtenden Perspektive beschrieben: Als Gründungsmitglied und Beisitzerin im Vorstand des Vereins verfügt die Autorin über interne Informationen und praktische handwerkliche Erfahrungen, die in die Darstellung eingeflossen sind.
[2] Zu Luthers Einkehr in der Krone gibt es bisher keinen exakten Nachweis. Die Legende stützt sich vor allem auf einen Eintrag im ältesten Kirchenbuch von Schweina von 1614. Diese Quelle und zwei weitere Quellen zu Luthers Gefangennahme am 4. Mai 1521 werden ausführlich zitiert in: Walter Börner, Wo verlief die alte Paßstraße bei Bad Liebenstein über den Thüringer Wald, auf der Luthers Gefangennahme stattfand? In: Urgeschichte und Heimatforschung 24 (1987), S. 34–44, bes. S. 37f.
[3] Schweina liegt rund 20 km von Eisenach entfernt und ist ein Ortsteil des Kurortes Bad Liebenstein; Stadtverwaltung Bad Liebenstein (Hg.), Ortsteile. Schweina, 2020, https://rathaus.bad-liebenstein.de/ortsteile/schweina/ [Abruf 11.12.2024]; Bad Liebenstein GmbH Gesellschaft für Kommunaldienstleistungen und Strukturentwicklung (Hg,), Bad Liebenstein und seine Ortsteile, https://www.bad-liebenstein.de/ortsportrait [Abruf 11.12.2024].
[4] Die Gaststätte Glücksbrunn wurde trotz persönlicher Intervention des damaligen Schweinaer Bürgermeisters bei der Treuhand in Berlin nicht an den Pächter verkauft, der sie erhalten wollte, sondern an das Möbelunternehmen, das sie abreißen ließ, um die Fläche als Parkplatz zu nutzen. Der Pächter nahm eine Stellung außerhalb des Ortes an; persönliche Information von Harald Schuck, ehem. Bürgermeister von Schweina.
[5] Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (Hg.), Wohnen + Leerstand, https://www.bmel.de/DE/themen/laendliche-regionen/dorfentwicklung/wohnen-und-leerstand/wohnen-und-leerstand_node.html [Abruf 11.12.2024].
[6] MDR Thüringen, Keine Pläne für einstiges Kurheim in Bad Liebenstein, 03. August 2024, https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/west-thueringen/wartburgkreis/bad-liebenstein-charlotte-spechtgruppe-100.html [Abruf 11.12.2024]; MDR Thüringen, Schleuserprozess gegen Chinesin. Angeklagte gibt ausführliche Erklärung ab, 24. März 2023, [Abruf 11.12.2024].
[7] ICOMOS international council on monuments and sites (Hg.), The Athens Charter for the Restoration of Historic Monuments – 1931, hier: I. Doctrines. General Principles, IV. Restoration of Monuments, VI. The Technique of Conservation; Freistaat Thüringen (Hg.), Thüringer Gesetz zur Pflege und zum Schutz der Kulturdenkmale (Thüringer Denkmalschutzgesetz – ThürDSchG -) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. April 2004, hier: § 1 Aufgabe der Denkmalpflege und des Denkmalschutzes, § 7 Erhaltungspflicht; Vereinigung der Landesdenkmalpfleger (Hg.), Leitbild Denkmalpflege. Zur Standortbestimmung der Denkmalpflege heute, Petersberg 2011, S. 30–35.
[8] Vereinigung der Landesdenkmalpfleger (Hg.), Leitbild Denkmalpflege, S. 43.
[9] Geschäftsstelle der Thüringer Vernetzungsstelle (THVS) LEADER c/o Thüringer Landesamt für Landwirtschaft und Ländlichen Raum (Hg.), Was ist LEADER? https://leader-thueringen.de/ueber_leader/? [Abruf 11.12.2024].
[10] Annette Guckelberger, Die „richtige“ Ausbalancierung von Denkmalschutz und Eigentum – eine fast unendliche Geschichte, in: Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz (Hg.), Quo vadis Denkmalrecht? Kulturerbe zwischen Pflege und Recht. Dokumentation der Tagung in Münster/Westfalen, 15.–17. Juli 2015 (Schriftenreihe — Band 90), Berlin 2017, S. 37–66, hier: S. 38.
[11] Bürgerinitiative Krone Schweina e.V. (Hg.), Die „Krone“ wachküssen! Internetpräsenz der Bürgerinitiative Krone Schweina e. V., https://www.schweinaerkrone.de/ [Abruf 09.12.2024].
[12] Die Silberne Halbkugel ist – vergleichbar dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland – nicht mit einem Preisgeld verbunden; ausgezeichnet werden „Einzelpersonen oder Gruppen, sowie gemeinnützige Vereine, die sich ehrenamtlich dem Schutz, der Pflege und der dauerhaften Erhaltung des baulichen und archäologischen Erbes widmen“. Angelika Wölfel / Ulrike Wendland (Hg.), Der Preis. Deutscher Preis für Denkmalschutz c/o Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz (DNK), https://www.deutscher-preis-denkmalschutz.de/der-preis/ [Abruf 09.12.2024].
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Sandra Sensmeyer (19. Dezember 2024). Vergleichsweise gut erhalten – Reflexionen über Denkmalschutz und Vergleichspraktiken . Blog "Praktiken des Vergleichens" Abgerufen am 17. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/12yo5