Von Antje Flüchter

Inzwischen ist der Dezember ins Land gezogen, doch noch immer stehe ich etwas ratlos davor, dass die DFG mit ihrem Ablehnungsbescheid am 22. November 2024 die Bielefelder Vergleichsforschung nach der zweiten Förderphase beendet hat. Nach zwei Jahren intensiver Arbeit am Fortsetzungsantrag, einer sehr gut verlaufenen Begehung und der exzellenten Bewertung unseres Forschungsprogramms für eine dritte Förderphase haben wir nicht mit diesem Ausgang gerechnet. Dass in dieser Bewilligungsrunde kaum Gelder in die Geisteswissenschaften geflossen sind, zeigt, wie hart die Konkurrenz zwischen den Disziplinen und wie knapp die finanziellen Ressourcen geworden sind. Gerade Geisteswissenschaften und teils auch die Sozialwissenschaften stehen unter Druck. Wir bieten sicherlich nur Begrenztes zu Fragen der Klimakatastrophe und der inneren und äußeren Sicherheit, aber: In einer Zeit, in der einfache Antworten auf komplexe Fragen gesucht werden, in der die Diskussionen und Positionierungen immer polemischer werden, eine Zeit, in der Wissen und Wissenschaft immer mehr in Frage gestellt wird, nicht zuletzt durch die immer diskursmächtiger werdenden neuen Technologien wie KI, in diese Zeit sind Geistes und Sozialwissenschaften wichtig. Geradezu ironisch erscheint es mir, dass als zentraler Grund der Nicht-Verlängerung die Kürzungen unseres aufwendig geplanten Ö/INF-Projekts (S04-Ö) genannt wurden, mit dem wir in viele Richtungen den vermeintlichen Elfenbeinturm verlassen wollten. Politische Forderungen nach mehr Wissenschaftstransfer und Wissenschaftskommunikation werde ich in Zukunft mit sehr gemischten Gefühlen lesen.
Der Sonderforschungsbereich hat sich acht Jahre der Erforschung von Vergleichspraktiken gewidmet und ist der Frage nach der produktiven Kraft des Vergleichens, nach seinen Auswirkungen auf die Etablierung und den Wandel kultureller und sozialer Strukturen nachgegangen. Unser Ziel war es nicht, die Richtigkeit und Angemessenheit von Vergleichen zu prüfen, sondern zu verstehen, wie Vergleiche funktionieren, wie sie die Welt stabilisieren und dynamisieren. Nachdem wir dies auf der Mikro- und Mesoebene erforscht haben, die produktive Kraft vielfältig nachgewiesen haben, wollten wir uns in der dritten Phase der Bedeutung von Praktiken des Vergleichens auf der Makroebene zuwenden. Mit diesen Ergebnissen und ihrem Transfer in die Gesellschaft durch S04-Ö hätte die gesellschaftspolitische Relevanz unserer Forschung wirksam werden können.

Ich blicke auf eine produktive und erfolgreiche Zeit im Sonderforschungsbereich zurück, zunächst als PI in einem Projekt zu Ordnung und Vielfalt von Vergleichspraktiken in interkultureller Rechtsprechung, dann, ab 2021, als Sprecherin des Verbundes. Ich habe das Amt übernommen in einer Zeit, die uns heute schon wieder als längst vergangen erscheint: Wir befanden uns mitten in der Corona-Pandemie, die alle unsere Lebensbereiche berührt hat. Wir mussten zurückgezogen in unseren Wohnungen arbeiten und haben uns in der Regel nur via Zoom in unseren Arbeitsgruppen und als Gesamtverbund treffen können. Diese Zeit hat uns geprägt, Spuren hinterlassen und sie wirkt bis heute nach. Der schwierige Start in die zweiten Förderphase war besonders für unsere neuen Mitarbeiter*innen eine Herausforderung, die mit großen Erwartungen nach Bielefeld gekommen sind. Wir haben neue digitale Arbeits- und Diskussionsformate kennengelernt und auch versucht, als Forschungsverbund im Rahmen von digitalen Begegnungsräumen Gelegenheit zum Austausch – nicht nur wissenschaftlicher Natur – zu schaffen, um der Vereinzelung mit unserem ‚Telebier‘, unserem digitalen Weihnachtsmarkt, aber auch mit verabredeten Spaziergängen etwas entgegenzuwirken. Es hat dann fast ein ganzes Jahr gedauert, bis wir uns im Frühjahr 2022 in Kloster Damme endlich wieder persönlich treffen und kennenlernen konnten.

Aus unserer gemeinsamen Arbeit heraus sind in den vergangenen vier Jahren eine große Anzahl an Publikationen und Beiträgen entstanden: 9 Monographien, 21 Sammelbände, 3 Sonderhefte, 7 Working Paper, 175 Aufsätze, 106 Beiträge auf YouTube, 34 Interviews, 180 Vorträge, 9 Ausstellungen, 35 Beiträge in überregionalen Medien (Stand: März 2024). Wir haben bis zum Ende des Jahres 47 Workshops und Konferenzen veranstaltet und zwei Summer Schools.

Außerdem hatten wir zahlreiche nationale und internationale Wissenschaftler*innen in Bielefeld zu Gast, die sich in ihren Beiträgen mit unserer Vergleichsforschung auseinandergesetzt haben.
Auf unserer Abschlusskonferenz ‚Comparisons Going Global‘ vom 17. bis zum 19. Oktober 2024 im Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) an der Universität Bielefeld standen Vergleichspraktiken jenseits Westeuropas im Zentrum. Was als Abschluss der zweiten und als Auftakt für eine spannende dritte Förderphase angedacht war, in der es um die Rolle von Vergleichspraktiken für Wandlungsprozesse von umfassender Geltung und Reichweite gehen sollte, bildet nun den Abschluss der Bielefelder Vergleichsforschung im Verbund. Die Rolle konstitutiver Vergleichspraktiken für Wandlungsprozesse mit der Makroebene als Fluchtpunkt werden wir nicht mehr, wie von uns geplant, gemeinsam erforschen können.

Im SFB 1288 haben in den vergangenen Jahren viele Mitarbeiter*innen gearbeitet. Darunter waren und sind ebenso Wissenschaftler*innen mit viel Erfahrung, von deren Expertise wir alle profitiert haben, wie auch Doktorand*innen und Postdoktorand*innen. Sie haben sich im Rahmen ihrer Projektarbeit weiterqualifiziert, sind zu Forscher*innenpersönlichkeiten herangewachsen, und es sind Freundschaften entstanden, die über die gemeinsame wissenschaftliche Arbeit hinausgehen und die – das würde ich mir wünschen – diese auch überdauern. Unsere Zusammenarbeit und unser Zusammenkommen haben mir immer sehr viel Freude bereitet.

Wir freuen uns, dass erste Qualifizierungsarbeiten aus der zweiten Förderphase bereits abgeschlossen sind oder kurz davorstehen. Einige Doktorand*innen und Mitarbeiter*innen haben den Verbund vor Ablauf der laufenden Förderphase verlassen und sich mit ihrer Expertise schon neue berufliche Perspektiven erschließen können. In diesem Jahr waren es Frederic Kunkel aus dem Teilprojekt F04, der seit August Referent der Geschäftsleitung im NaWik ist, dem Nationalen Institut für Wissenschaftskommunikation in Karlsruhe, und Sarah Nienhaus aus dem Teilprojekt F02, die seit dem Herbst Leiterin der Stabstelle Gleichstellung, Vielfalt & Familie der Universität Landau-Kaiserslautern an der Geschäftsstelle Landau ist.

Da dies eine Rückschau auf die gesamte Laufzeit des SFB 1288 ist, möchte ich auch noch einmal an den großen Verlust erinnern, den der Tod von Thomas Welskopp für uns alle wissenschaftlich und menschlich bedeutet hat. Mit seinem praxeologischen Ansatz war er für unsere Arbeit ein wichtiges Bindeglied zwischen Soziologie und Geschichtswissenschaften. Ebenso hat mir seine Zugewandtheit im Gespräch und sein ganz besonderer, sehr feiner Humor gefehlt.

Einen Forschungsverbund können Freud und Leid prägen. Wir konnten uns aber auch über die Geburt von acht Kindern unserer Mitarbeiter*innen freuen – das Jüngste ist erst wenige Tage alt.

Es erleichtert mich – bei aller Trauer darüber, dass es keine dritte Förderphase geben wird – dass unsere Mitarbeiter*innen im Rahmen der Abschlussfinanzierung von sechs Monaten ihre Projekte abschließen können. Nicht wenige Dissertationen befinden sich bereits in der Abschlussphase und die verbleibende Zeit verschafft etwas Raum für die Neuausrichtung und die Entwicklung von Berufsperspektiven.

Danken möchte ich noch einmal allen, die an unser Vorhaben geglaubt und uns in den unterschiedlichsten Arbeitsphasen unterstützt haben, allen Kolleg*innen und Mitarbeiter*innen in Wissenschaft und Verwaltung, unseren Hilfskräften, dem Rektorat und Freund*innen in und außerhalb der Universität Bielefeld für Ihre Unterstützung, ihre Förderung, ihr Engagement und ihre Mitarbeit. Gerade die vergangenen Tage haben mir gezeigt, dass wir uns in Bielefeld – trotz personeller und zeitlicher Engpässe – aufeinander verlassen können. Insbesondere die Personalabteilung der Universität und die zuständigen Gremien haben viel geleistet, damit die Verträge unsere Mitarbeiter*innen noch vor dem Jahreswechsel abgeschlossen werden konnten. Dafür können wir nicht genug danken.

Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle noch einmal meinen Kollegen Maximilian Benz und Martin Petzke. Wir haben als Leitungsteam den Fortsetzungsantrag geschrieben und die 3. Förderphase vorbereitet. Ich werde mich an diese besondere Zeit der kollegialen, freundschaftlichen und intensiven Zusammenarbeit immer gerne erinnern und hoffe, dass wir diese in der einen oder anderen Form fortsetzen können. Interdisziplinarität war und ist herausfordernd für uns alle. In der gemeinsamen Arbeit für den SFB und für eine dritte Förderphase haben wir gezeigt, das wurde uns vielfach bestätigt, dass wir unsere engen Fachperspektiven überwinden können.

Ich bin gerne Sprecherin des SFB 1288 gewesen und ich blicke auch mit Stolz auf unsere gemeinsame Arbeit zurück und wünsche mir, dass mit dem Ende des SFB 1288 nicht auch die hervorragende Bielefelder Vergleichsforschung zum Erliegen kommt, dass sich Einzelne weiter diesem außerordentlich fruchtbaren und wichtigen Thema widmen werden. Wir werden sehen, ob sich für einzelne Aspekte unseres Gesamtantrages noch Fördermöglichkeiten finden lassen. Wenn die Erfahrung der konstruktiven und zugewandten Arbeitsatmosphäre in unserem Bielefelder SFB sowie der offene und freundschaftliche Umgang miteinander von unseren Mitgliedern weitergetragen wird, wäre das für mich ein weiterer großer Erfolg, denn das war uns neben der wissenschaftlichen Arbeit ein wichtiges Anliegen.
Herzlich
Antje Flüchter

Weitere Infos und Links:
RÜCKBLICK: Zum SFB 1288-Rückblick Winter 2024
NEWS: Alle aktuellen Neuigkeiten im Überblick auf der SFB1288-Homepage unter „News“: https://ekvv.uni-bielefeld.de/blog/sfb1288/
SFB 1288-AUDIOTHEK: Entdecken Sie weitere Themen und aktuelle Diskussionen rund um Vergleichspraktiken in der SFB 1288-Audiothek „Unvergleichliches Hören“: https://sfb1288audiothek.podigee.io
LINKEDIN: Folgen Sie dem SFB 1288 „Praktiken des Vergleichens“ auf LinkedIn: https://www.linkedin.com/company/sfb1288/
SOCIAL MEDIA: Alle Social Media-Kanäle des SFB 1288:
https://www.uni-bielefeld.de/sfb/sfb1288/social-media/
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Antje Flüchter (23. Dezember 2024). Abschied von der Vergleichsforschung des SFB 1288 – Winterrückblick 2024. Blog "Praktiken des Vergleichens" Abgerufen am 18. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/12zr6